Das Atelier J. C. Schaarwächter in Berlin 1889

— Von Richard Ferdinand Eduard Kiewning —

Wer von Denjenigen der geschätzten Leser dieses Blattes, dem diese Zeilen zukommen, kennt nicht den Namen J. C. Schaarwächter! Weit über die Grenzen des engeren deutschen Vaterlandes haben denselben seine mit vornehmem Geschmack und oft geradezu blendender Technik aufgenommenen Künstlerbilder seit einer langen Reihe von Jahren berühmt gemacht und was von celebren Namen in der Kunstwelt, unter den Diplomaten, den Würdenträgern aller Nationen, der Gelehrtenwelt vorhanden, hat schon der Firma J. C. Schaarwächter in Berlin zu Porträts gesessen. Aus Anfängen, wie wohl meist photographische Ateliers hervorgehen, hat J. C. Schaarwächter im Jahre 1872 in der Friedrichstraße seiner Zeit es verstanden, sein Geschäft, nachdem es vor jetzt fas drei Jahren in das Haus Leipzigerstrasse 130 verlegt wurde, zu einem nicht nur der ersten unserer Residenz, sondern wir können nach gründlicher Einsichtnahme der geradezu verblüffend brillant und mit sachverständigem Raffinement angelegten Empfangsräume und Arbeitsstätten es getrost aussprechen - auch zu einem der ersten auf dem Continent zu machen. Zweck dieser Zeilen ist, diese Empfangsräume und Arbeitsstätten zu beschreiben, nicht allein weil letztere ja das Interesse unserer Leser gewiss lebhaft zu beschäftigen im Stande sind, sondern auch weil anderntheils über das Etablissement abweichende Meinungen unter den Fachgenossen selbst vorhanden sind und der Besitzer der Firma - J. C. Schaarwächter selbst - es nicht liebt, Reclame in anderer Form, denn durch seine anerkannten, nicht blos von Fachcollegen, sondern von den ersten Ausstellungen der Welt genügsam gewürdigten und rückhaltlos als vorzüglich anerkannten Leistungen zu machen. Bevor ich mich aber auf Details des Vorstehenden einlasse, will ich die Räumlichkeiten, die dazu dienen, die Anforderungen, die an das Atelier J. C. Schaarwächter gestellt werden, zu erfüllen, beschreiben.

Betritt man das Haus Leipzigerstrasse 130, so fallen gleich vorn am Eingang rechts und links die vornehm gehaltenen zwei Auslagen mit Porträts berühmter Künstler und Zeitgenossen auf. Im Hofraum selbst sechs bis acht grössere Auslagen von eben solchem Inhalt zeigen uns Personen, deren Namen wir wohl schon oft in Zeitungen und Zeitschriften gelesen, mit deren Porträts selbst wir aber hier Bekanntschaft machen können, die in ihrer meisterhaften Ausführung Zeugniss von der Leistungsfähigkeit des Ateliers ablegen. - Da sind Joachim und Sarasate, die berühmten Geiger, Hausmann, Sauret und Grünfeld, Theresina Tua und Sophie Menter, Stöcker, Hofprediger Frommel und Dr. Paulus Cassel, dann die Professoren Bardeleben, Gneist, Virchow, Koch, Curtius, Gerhardt u. A. m. und in einer besonderen Auslage unsere ganze kaiserliche Familie, vorn an das letzte so vorzüglich gelungene Portrait Kaiser Wilhelm II. in verschiedensten Stellungen und Aufnahmen. Im Hinterhause des Grundstücks in der zweiten Etage befindet sich das Bureau, ein Saal von 4 Fenstern Front in geschmackvoller Weise der heutigen Einrichtung entsprechend decorirt. Drei Damen sind hier mit dem Empfang und der Abfertigung des Publicums vollauf beschäftigt. Ein Buchhalter und eine Buchhalterin besorgen die kaufmännische Leitung des Etablissements. Ein daran rechts anstossendes Zimmer, wie alle Räume der Anstalt, mit feinem, decentem Geschmack ausgestattet, dient Herrn J. C. Schaarwächter als dessen Sprechzimmer. Dicht daran liegt das Telephonzimmer, dessen Einrichtung unausgesetzt benutzt ist, Anmeldungen, sowie geschäftliche Angelegenheiten des Betriebes zu erledigen. Um gleich diese Etage vollends zu beschreiben, so sind links von dem eigentlichen Bureau des Geschäfts die Räume für die Positivretouche, dahinter das Buchbinderzimmer und weiter der Packraum für abgehende Post und Stadtsendungen mit dem Aufenthaltsraum für die Hausdiener u.s.w. Aus dem Empfangsbüro führt eine Wendeltreppe in die eigentlichen Empfangsräumlichkeiten in der dritten Etage. Dass dieselben splendid ausgestattet und der Hauptstadt und eines Geschäftes solchen Ranges durchaus würdig sind, bedarf nicht erst der Erwähnung, ich erlasse mir daher die nähere Beschreibung derselben und kann nur sagen, dass denjenigen Fachcollegen, denen daran liegt, das betreffende Etablissement einmal selbst kennen zu lernen, der Besitzer desselben in seiner stet gleichen Liebenswürdigkeit solches während seiner allerdings knapp bemessenen Sprechstunde von 4 bis 5 Nachmittags nach vorhergegangener Anmeldung gewiss gern gestatten wird. Aus den Empfangsräumlichkeiten, in denen Toilettenzimmer für Damen, Ankleidezimmer für Herren und sonstige Bequemlichkeiten, die ein solcher Betrieb erheischt, getrennt vorhanden sind, führt abermals eine Treppe in die vierte Etage zu den eigentlichen Aufnahmeräumen. Solche sind zwei nebeneinander befindliche Ateliers, die nur durch eine grössere Thür getheilt sind und in denen beiden bei besonders lebhaftem Geschäftsgang zu gleicher Zeit gearbeitet wird. Die Ateliers haben je eine Länge von 12 Meter bei einer Breite von 10 Meter und einer Höhe von 3 1/2 Meter an der niederen Seite und 4 1/2 Meter an der höheren Seite, sind Nordfront-Ateliers und liegen der ganzen Länge des Hauses nach über den Empfangsräumlichkeiten. An das eine Atelier stösst ein Raum für die Decorations- und Möbelstücke, sowie ein Vergrösserungsraum, zu welchem man aus einer der Dunkelkammern gelangt, von denen je eine am Ende des betreffenden Ateliers belegen ist. Die Dunkelkammern sind mit electrischem, sowie Gaslicht versehen, gross, geräumig und gut heizbar. Die Wasserspültröge bieten in zwei Abtheilungen mit ihren Brausen Raum zur spielenden Behandlung auch der grössten Plattengrössen. Gearbeitet wird in den Dunkelräumen nicht bei rubinrotem Licht, sondern bei einem fast weiss erscheinenden Lichte, dargestellt durch die Combination von Grün, Orange und Milchglasscheiben, was durchaus zu loben und nachahmenswerth und dessen Verwendung ich bereits vor Jahren empfahl, da es nicht nur allein das Auge schont, sondern auch die Ueberwachung und Controllirung des Hervorrufungsprocesses besser gestattet. Die Vergrösserungskammer, eine Fortsetzung des einen rechts gelegenen Ateliers, deren Licht in einer Flucht mit der Atelier Nordglaswand liegt, ist ungemein praktisch dadurch eingerichtet, dass die Camera mit dem Objectiv sowohl, wie auch der Rahmen, der die Platte trägt, auf Schienen Laufen, die an der Decke des Raumes angebracht sind, jede Bewegung auf das Exacteste auszuführen erlauben, und den Füssen des Operirenden, wie leicht ersichtlich dadurch nicht hinderlich fallen. Reines, freies Nordlicht am Tage, Magnesiumlicht bei Abend gibt für die Vergrösserungszwecke mittelst Contactdiapositivs sein Licht her und der Umstand, dass dieser Raum neben der Dunkelkammer liegt, lässt die Arbeitszeit aufs Günstigste ausnutzen.

In den Ateliers selbst laden Nischen, mit hübschem Meublement ausgestattet, die bei einer Aufnahme oftmals überflüssig mitkommenden Personen zu vorübergehendem Verweilen ein, oder dienen mit ihren Spiegeln den Besuchern zu einer nochmaligen Musterung ihrer Toiletten. Die Gardinenconstructionen sind nach bewährtesten fachmännischen Erfahrungen, die über die ich mich in einem späteren Artikel eingehend auszusprechen gedenke, eingerichtet; gearbeitet wird mit Dallmeyer Objectiven, einzig und ausschliesslich auf Monckhoven Platten. Das Atelier rechts ist das eigentliche Porträt-Atelier, welches Herr J. C. Schaarwächter unter Assistenz eines Operateurs meist dann selbst arbeitet, wenn ihn nicht Künstler-Aufnahmen, die fast nur in dem zweiten Atelier links aufgenommen werden, in diesem Letzteren beschäftigen. Damit die Künstler, die in dem Geschäft aufgenommen werden sollen, vom anderen Publicum getrennt sind, neben dem zweiten Atelier und seiner Dunkelkammer ein reizendes Cabinet eingerichtet, in welchem dieselben das Costümiren, Schminken etc. besorgen können und dann sofort in's Atelier gelangen, so dass tagelang in dem zweiten Atelier Aufnahmen gemacht werden können, ohne dass der Geschäftsgang für das sonstige Publicum in irgend welcher Weise gestört würde. Da nun das Kunstgeschäft, das sich bei Schaarwächter zu einer bedeutenden Specialität herausgebildet und welches seine Verbindungen jetzt bereits nach aller Herren Länder hat, ein sehr umfangreiches zu nennen ist und stets grössere Dimensionen annimmt, so ist der Vortheil, der in dieser Einrichtung der getrennten Arbeitsräume liegt, uns Fachgenossen sofort klar und zeugt dafür, wie Schaarwächter es verstanden hat, bei der Anlage seines neuen Etablissements auf alle erdenklichen Umstände Rücksicht zu nehmen.

Freilich werden ihm seine alten Geschäftsräume in der Friedrichstrasse, welche seinem immer grösser werdenden Geschäft im Laufe der Zeit immer grössere Hindernisse bei Erledigung der Arbeiten in den Weg legten, die beste Gelegenheit gegeben haben, zu ändern und zu unterlassen, was sich dort nicht anders schaffen liess. Mächtige Holzjalousien als Sonnensegel zur Abwehr jedweden Einfalls von zu dreistem Sonnenlicht über den beiden Ateliers hindern diesem das Scheinen auf das Atlierdach und erleichtern dem Operirenden das Arbeiten während des Hochsommers, zu welcher Jahreszeit ein stets gleiches diffuses Licht in den beiden Ateliers vorhanden ist. Steigt man empor in die Höhe, um sich die Construction dieser Jalousien anzusehen, so befindet man sich in der fünften Etage des Hauses und damit in den Räumen, in denen die Negativ-Retouche ausgeführt, das Plattenlager aufbewahrt und das für den täglichen Bedarf erforderliche Papier gesilbert wird. Auch befinden sich hier in besonderen Räumen die Auswasser- Ton- und Fixirzimmer der Anstalt - schon auf dem Seitenflügel des im Viereck gebauten Hauses liegend. Der Negativ-Retouchirraum nach Norden gibt fünf Retoucheuren Platz zur Arbeit, das ganze Zimmer ist finster, nur die Arbeitsstätten haben in der Grösse der jeweiligen Platten Ausschnitte und hinreichend ruhiges Licht zur Ausführung der Arbeit. Abends wird elektrisches Licht benutzt. Der Ton- und Fixirraum enthält Vorrichtung für Gas- und elektrische Beleuchtung; für das Einwässern der Copien ist Sorge getragen, dass stets nur temperirtes Wasser - im Winter - zur Verwendung kommt, was ja, wie bekannt eine Hauptsache zur Verhütung der leidigen Bladen auf dem Albuminpapier ist. Das Präparirzimmer für das Silbern des Papiers ist geräumig und gross, gesilbert wird in zwei Schalen bogenweise und diese Arbeit beschäftigt eine Präparateur fas unausgesetzt den ganzen Tag, da durchschnittlich die Kleinigkeit von 100 Bogen Albuminpapier per Tag in dem Geschäft zur Verwendung gelangen. Oft wirds mehr, selten weniger.

Was dazu gehört, 100 Bogen Albuminpapier täglich zu Porträtzwecken zu verwenden, werden die Leser dieser Zeitung leicht zu beurtheilen in der Lage sein, denn wenn ich vorhin vom Kunsthandel im Schaarwächter'schen Geschäft sprach, so ist damit doch nur gemeint, dass derselben seinem Kunstgeschäft dieselbe exacte Arbeitsleistung widmet, die den anderen Arbeiten angedeiht und daher eine Bewältigung solcher Leistungen sicher sehr bemerkenswerth ist. Ja! ich kenne namhafte Collegen, die ungläubig die Köpfe schüttelten, wenn ich ihnen von solchem Verbrauch von Albumin-Papier, der doch der beste Gradmesser für den Geschäftsgang eines Ateliers bildet, sprach, deshalb constatire ich solches an dieser Stelle hiermit nochmals. Aus dem Präparirraum für Albumin-Papier gelangt man auf einer Treppe auf das Dach des Vorderhauses und hiermit in das Copirglashaus der Schaarwächter'schen Anstalt. Dasselbe ist über die ganze Front des Vorderhauses gebaut, hat somit eine Länge von circa 40 Meter und - langt für den heutigen Betrieb des Geschäftes fas nicht mehr aus. Fünf bis sechs Copirer führen hier das Drucken der Copien aus, welche auf Tischen stehen, die auf Rollen und Schienen derartig construirt sind, dass sie sich sehr leicht in's Freie auf das flache Dach der beiden Seitengebäude rollen lassen und also ein Copiren im Freien gestatten. Telephon, Telegraph, electrische Beleuchtung zur Erleichterung des Betriebes ist selbstverständlich überall vorhanden, ein besonderer Ein- und Aufgang für das Geschäft ebenfalls.

So schafft sich Grosses au relativ kleinen Anfängen, wenn positives Wissen, Talent, unentwegtes Festhalten am anerkannt Besten, gepaart mit Energie und richtiger Dispositionskraft - vielleicht auch unter Benutzung der in den letzten Jahrzehnten vorhanden gewesenen günstigen Conjuncturen, richtig verein in einer Persönlichkeit sich vorfindet.
Dass dies der Fall, davon ist J. C. Schaarwächter zur Ehre unseres Faches ein lebender Zeuge!


Quelle:

“Photographisches Archiv“ (Liesegang), Bd. 30, VIII. Heft/Nr. 620 (16. 4. 1889), S. 116-119 sowie IX. Heft/Nr. 621 (1. 5. 1889), S. 139-142.