Über das Übersetzen

In meinen hundert Büchern von Gedichten
las ich in dunklen und in hellen Stunden
und fühlte mich erglüh'n in Hochgesichten,
die einem Dichter wunderbar gelungen.

Doch wenn ich weiterlas, so kam mir's vor,
als ob das Schönste doch nur wiederkehre
und schon Gehörtes trat zuweilen vor,
wo ich doch Einzigartiges nur begehre.

Auch fand ich Hochgedichte fremder Länder
durch Übertragung in den eigenen Ton im Schritt
und in dem Maß so sehr verändert,
daß es dem fremden Dichter stahl den Lohn.

Zwar hat es auch mich selbst zu sehr gelüstet,
ein fremd Gedivht ins Deutsch zu übertragen,
auch hatt' ich mich dazu sehr wohl gerüstet,
doch endet' ich zum Schluß doch nur mit Zagen.

Nur einmal schien mir der Versuch geglückt.
Durch Gnade hatte mich ein kühner Schritt
in jenes Dichters Geistesraum gerückt,
ich sprach ihn zagend an, er nahm mich mit.

Die Interlinearversion, nach klugem Wort,
vermag uns zur Identität zu führen,
nur so gelangen wir an jenen Ort,
den Schöpfer und Nachschöpfer sollten küren.

Hans Schaarwächter [1979]